Den 27. Juni hat sich Tyll-Niklas Reinisch dick im Kalender angestrichen. Denn an diesem Tag veröffentlicht die Deutsche Fußball Liga (DFL) die Spielpläne für die kommende Saison der 1. und 2. Bundesliga. „Das wird ein Feiertag in der Familie“, betont Tyll im Gespräch. Für ihn geht es dann nicht nur darum zu erfahren, wann sein Lieblingsverein Bayern München gegen welchen Gegner spielt, sondern er markiert auch den Beginn seiner Reiseplanungen.
Denn Tyll verfolgt ein ambitioniertes Ziel: innerhalb von zwei Jahren will der 27-jährige alle 36 Stadien der ersten und zweiten. Bundesliga besuchen und auf Barrierefreiheit überprüfen. Begonnen hat er damit im März 2024; am Ende der abgelaufenen Saison stand er bei 22 Besuchen in der ganzen Republik.
Tyll sitzt seit seiner Kindheit im Rollstuhl. Mit seinem Projekt „Behindert nicht den Fußball“ zeigt er den Stadionbesuch und das Drumherum inklusive Ticketkauf und Anreise aus seiner Sicht. Sein Ziel ist es, neue Perspektiven aufzuzeigen und andere Stadionbesucher*innen für die Belange von Sportfans mit Behinderungen zu sensibilisieren.
Berichte in Social-Media-Videos und als Text
Die Schwierigkeiten beginnen für Tyll häufig schon weit vor dem eigentlichen Stadionbesuch. „Beim Ticketkauf gibt es keine Einheitlichkeit und oft keine Transparenz“, beklagt der Schleswig-Holsteiner. Während andere Fußballfans mit wenigen Klicks ein Ticket erwerben können, dauere es bei ihm bis zu zwei Wochen, in denen er viele E-Mails schreiben müsse, bis er endlich seine Karten speziell für Rollstuhlplätze erhält. Dass es auch besser geht, hat er beispielsweise bei Eintracht Braunschweig erlebt. Hier können Rollstuhlfahrer*innen ihre Eintrittskarten ohne Umwege im regulären Ticketshop erwerben.
Doch sein Hauptaugenmerk liegt auf den Gegebenheiten vor Ort. Dabei achtet er auf viele Dinge: Wie rollstuhlgerecht ist die Anreise? Wie verläuft der Einlass? Sind die Plätze gut zu erreichen? Können Begleitpersonen in der Nähe sitzen? Sind die Sanitäranlagen barrierefrei?
“Mit mir ist kein Marketing zu machen”
Seine Besuche nimmt Tyll mit der Handykamera auf. Nach den Spielen veröffentlicht er dazu Videos bei Youtube, Tiktok und Instagram. Außerdem verfasst er detaillierte Berichte auf seinem Blog. Alle Kanäle sind über die Website www.behindertnichtdenfussball.de zu erreichen. In einen Bericht investiert er im Schnitt zwei komplette Wochenenden.
Als Influencer sieht er sich dabei nicht. Ihm geht es um die Sache, und er betont: „Mit mir ist kein Marketing zu machen.“ Um ein authentisches Erlebnis zu haben, kündigt er seine Besuche den Vereinen im Vorfeld nicht an. Diese würden sich allerdings manchmal später bei ihm melden.
Von Dortmund bis Elversberg hat Tyll schon Stadion verschiedenster Größe und Bauart besucht. Generell seien neuere Spielstätten wie etwa in Karlsruhe in puncto Barrierefreiheit häufig besser. Doch auch in älteren Stadien könne es ein super Sporterlebnis geben. Beispielhaft nennt er Kiel, wo er die herzliche Fanbetreuung hervorhebt.
Verbesserungen für alle erreichen
Einen Einfluss auf die Barrierefreiheit habe auch die Europameisterschaft im vergangenen Jahr gehabt. Aufgrund von UEFA-Vorgaben habe es in den Spielstätten etwa in Hamburg, Berlin und München Verbesserungen gegeben. Kritisch sieht Tyll in diesem Zusammenhang die Situation in Dortmund. Hier seien die Umbauten für mehr Barrierefreiheit direkt nach der EM wieder zurückgenommen worden.
Nach seinen Erfahrungen stünden die großen Arenen mehr im Fokus, doch Investitionen und Verbesserungen bei der Barrierefreiheit seien laut Tyll insbesondere in der Fläche nötig, damit wirklich alle Fußballfans ein barrierefreies Stadionerlebnis haben könnten.
Er hat auch schon darüber nachgedacht, „Behindert nicht den Fußball“ international zu betreiben. Mit Fans von Eintracht Frankfurt reiste er zu einem Europa-League-Spiel in Istanbul und musste feststellen: „Dort waren sie absolut nicht auf Rollstuhlfahrer eingestellt“. Und für einen möglichen Besuch bei Arsenal London verlangte der Klub von ihm ein Gutachten einer englischen Arztpraxis, damit er überhaupt Tickets erwerben könnte.
Engagement in derSoVD-Jugend
Zwei Dinge liegen Tyll besonders am Herzen: Inklusion und Diversität. Dafür setzt er sich nicht nur beim Sport und im Beruf als Inklusionsmanger bei einem Sportverband ein, sondern auch im SoVD. Über ein Beratungsanliegen kam er in den Verband und engagiert sich mittlerweile auch als Mitglied des Bundesjugendvorstandes. „So kann ich mein Know-how auch ins Ehrenamt einfließen lassen“, betont er.
Ab dem 22. August rollt in der Bundesliga wieder der Ball, die zweite Liga fängt schon drei Wochen früher an. Ab dann kann man Tyll-Niklas Reinisch wieder in den Stadien des Landes treffen.